Am 03.12.2020 führte die Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen (LJS) ihre diesjährige Jahrestagung unter dem Titel „Brille auf, Welt an“ als Online-Veranstaltung durch. Die Fachtagung befasste sich mit der Frage, ob und wie die Freizeitgestaltung in der virtuellen Welt mit ihren Online-Spielen, eSport bis hin zu Online-Glücksspielen unter dem Aspekt des Jugendschutzes mit den Interessen von Kindern und Jugendlichen zu vereinbaren ist.
Das Thema ist hochaktuell. Das zeigte die große Nachfrage an der Fachveranstaltung, an der mehr als 80 pädagogische Fachkräfte teilnahmen. Vorgestellt und diskutiert wurden die neuesten Entwicklungen, die Abschätzung von Risiken und damit verbunden die medienpädagogischen Herausforderungen.
Sozialministerin Carola Reimann dankte in ihrem Grußwort der LJS, die dieses ungewöhnliche Jahr souverän genutzt habe, um ihre vielfältigen Fortbildungsangebote und Präventionsprojekte digital nutzbar zu machen. Auf diese Weise wirke die LJS auch in schwierigen Zeiten unterstützend an der Seite der Jugendeinrichtungen, Schulen oder Kitas und vermittele Handlungssicherheit. Das zeige einmal mehr, dass die LJS immer auf der Höhe der Zeit ist und sich vorausschauend und engagiert neuen Themen und Herausforderungen stelle.
In Folge der Digitalisierung, nicht zuletzt beschleunigt durch Corona und den Kontaktbeschränkungen, nehme die Beliebtheit digitaler Spiele immer weiter zu und damit auch ihr Stellenwert. Digitales Spielen ist unabhängig von Zeit und Ort möglich. Die Abgrenzung zwischen digitaler und physischer Lebenswelt weiche immer weiter auf – beide Aktionsräume verschmelzen im Alltag. Darum begrüße die Ministerin, dass die LJS im Rahmen der heutigen Jahrestagung neben einer medienpädagogischen Betrachtung von Virtueller Realität auch aktuelle Risiken in den Fokus stellt.
Grußwort von Dr. Carola Reimann, Sozialministerin Niedersachsen zur Jahrestagung am 3.12.2020
In ihrem Grußwort betonte Frau Birgit Eckhardt, Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen e.V.
„Bei dieser Tagung wird sehr deutlich, dass es um Medienkompetenz geht. Und Medienkompetenz, das wird auch in der Debatte über Homeschooling sehr deutlich, ist heute eine Schlüsselqualifikation zu gesellschaftlicher Teilhabe.“ Eine zentrale Frage sei, wie es gelingt, dass sich Kinder und Jugendliche sicher und mit Spaß in der virtuellen Welt bewegen könnten.
Eva Hanel führte als zuständige Medienpädagogin der Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen in das Programm der Jahrestagung ein.
Eine Besonderheit dieses Jahres war die Mediennutzung und die Perspektive darauf: Eine Studie der DAK hat auf den dramatischen Anstieg von Gamingzeiten und Internetnutzung bei Jungen und Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren während des Lockdowns hingewiesen. Dabei sind die Gründe, die die befragten Kinder und Jugendlichen angaben, nachvollziehbar: sie wollten sich die Langeweile vertreiben, soziale Kontakte aufrechterhalten und Stress abbauen. Eva Hanel hatte Verständnis dafür und wies darauf hin, nicht allein die Nutzungsdauer zu bewerten, sondern vielmehr die Zunahme im Kontext einer ungewöhnlichen Zeit zu sehen, als unter der Corona-Situation ein normaler Alltag nicht möglich war. Für die pädagogische Arbeit und die Medienerziehung zuhause ist es wichtig die exzessive Beschäftigung von der problematischen Nutzung von suchtartigen Computerspielen abzugrenzen.
Im aktuellen Referentenentwurf des Jugendschutzgesetzes sollen die Interaktionsrisiken und somit auch das problematische Spielen stärker berücksichtigt werden. Mädchen und Jungen sollen unbeschwert und altersgerecht ihre Medienwelten nutzen. Eine Teilhabe im Gleichklang mit dem Schutzgedanken und der Befähigung von Kindern und Jugendlichen.
„Es fühlt sich real an“ – eine medienpsychologische Betrachtung von virtuellen Realitäten
Prof. Dr. Tilo Hartmann, live zugeschaltet von der Universität Amsterdam, stellte die neuesten Forschungsergebnisse zur Entwicklung von Virtueller Realität (VR) dar und ihren Einfluss auf unsere Wahrnehmung.
Entwickelt wird VR von interdisziplinär arbeitenden Forschungsbereichen mit dem Ziel, „die perfekte Simulation“ zu schaffen – ähnlich oder vergleichbar mit unseren Träumen. Übertragen auf Online-Spiele liegt die Bedeutung von VR im echten Spielerlebnis, von dem nichts ablenkt.
Anders als am Computer oder der Spielekonsole ist die Umgebung durch die Brille ausgeblendet, die Spielenden können sich ganz und gar auf die digitale Spielewelt konzentrieren und in sie eintauchen: Mit allen Sinnen sind die Spiele erfahrbar – man fliegt als Adler über Landschaften, steuert ein Raumschiff im Weltraum oder nimmt im Cockpit eines Sportwagens an Rennen teil. Die virtuelle Simulation ist so realitätsnah, dass die Spielenden intensiv die Gefühle erleben – Spaß ebenso wie Schreckmomente, wenn Aliens bedrohlich nahekommen und angreifen, Asteroide oder Gegenstände auf einen zurasen oder das Klettern am Berghang Schwindel auslöst. Das Spiel „fühlt sich real an“ wie Tilo Hartmann ausführt und diese Form der Visualisierung verändert stark die Wahrnehmung bis hin zu dem Punkt, an dem eine Unterscheidung, was real ist und was virtuell erlebt wurde, verwischt.
Mit Blick auf Jugendliche ist es für Eltern und Pädagogen besonders wichtig, sich der Wirkungsweise von VR bewusst zu werden, um die jugendlichen Nutzer*innen in der Spielewelt zu begleiten und ihnen Orientierung geben zu können. Unterstützt werden Eltern bei der Medienerziehung zuhause durch die Alterskennzeichnungen bei der Auswahl geeigneter Spiele.
VR bietet über die Faszination des Spielens hinaus interessante Trainings- und Lernmöglichkeiten, aber eben auch Gefahren, wie die Flucht aus dem Alltag hinein in die virtuelle Realität. Jugendliche sollten darum in dieser Erlebniswelt nicht allein gelassen, sondern vielmehr informiert und befähigt werden, sicher damit umzugehen.
Tilo Hartmann betont die Notwendigkeit der medienpädagogischen Begleitung von Jugendlichen in der virtuellen Welt. Noch liegen zu wenig Forschungsergebnisse vor, inwiefern Medienkompetenz bei der Gefühlsregulierung unterstützen kann. Gewiss ist jedoch, dass eine Emotionsregulation möglich ist.
eSports
Alexander Hundenborn, Fachstelle für Jugendmedienkultur, Köln
In der Vortrags-Session „eSports“ führte Alexander Hundenborn in die Geschichte des eSport ein. Dabei handelt es sich um wettbewerbsmäßig durchgeführte digitale Spiele. In Deutschlang haben sie eine lange Tradition. Die ersten Online-Spiele, die ein miteinander bzw. gegeneinander ermöglichten, kamen in den 1980er Jahren auf, später, Ende der 90er Jahre entwickelte sich die LAN-Party-Kultur. Mittlerweile gibt es in Deutschland den eSport-Bundesverband (ESBD e.V.) und organisierte Ligen.
Unter den Teilnehmenden entwickelte sich eine angeregte Diskussion darüber, ob eSport wirklich Sport ist. Ein Argument für die Anerkennung wäre, dass die finanziellen und steuerlichen Vorteile mehr Präventionsmittel ermöglichen würden. Zudem würde eine rechtliche Einordnung die gesellschaftliche Anerkennung fördern und dazu führen, dass eSport begeisterte Jugendliche ernst genommen und begleitet werden – ähnlich wie beim Leistungssport.
Rechtlich zumindest hat sich die Bundesregierung dafür ausgesprochen, die Frage zum Status nochmals zu diskutieren und eventuell anzuerkennen.
Für Alexander Hundenborn ist eSport ein Massenphänomen mit schnellem Wachstum und steigenden Preisgeldern. Für Kinder und Jugendliche ist eSport eine faszinierende Freizeitbeschäftigung, der sie allein, gemeinsam vernetzt oder auf Events nachgehen können. Die hohe Attraktivität für die Jugendkultur erklärt Alexander Hundenborn damit, dass Wettbewerb Vergleichbarkeit schafft und wegen der lukrativen Möglichkeiten, eSport professionell zu betreiben.
Offene Fragen und Streitpunkte sieht Alexander Hundenborn noch bei den rechtlichen Rahmenbedingungen für den Jugendschutz. Hier gibt es noch Nachbesserungsbedarf. Nicht geregelt ist beispielsweise der Umgang im öffentlichen Raum. Offen ist z. B. die Frage, ob Mädchen oder Jungen einen eSport-Wettbewerb als Zuschauende besuchen dürfen, wenn dort Spiele gespielt werden, für die sie eigentlich noch zu jung sind?
Alexander Hundenborn benennt auch die problematischen Tendenzen des eSport:
- Diskriminierung z. B. von Frauen oder gleichgeschlechtliche Orientierungen
- Suchtgefahr
- Einhaltung von USK-Freigaben
- Besuchsregelung von öffentlichen Vorführungen (z. B. Events in Vereinsheimen)
Problematik von Glücksspiel-Wetten bei eSport-Wettbewerben
Alexander Hundenborn betont die Notwendigkeit der pädagogischen Begleitung. Vor allem Eltern sind gefordert, sich zu informieren, um ihre Kinder unterstützen zu können. Das kann auch das Interesse „eSportler*in“ werden zu wollen betreffen, ein Berufswunsch, mit dem sich Eltern und Pädagog*innen zukünftig auseinandersetzen sollten.
Zocken im Netz – Gaming, Gambling und Co.
Dr. Tobias Hayer, Universität Bremen
Tobias Hayer führte die Grundlagen zu Gaming und Gambling aus, ging insbesondere auf das simulierte Glücksspiel im Internet ein und gab Ausblicke auf neue Herausforderungen für die pädagogische Praxis.
Das Spielen an sich ist notwendig für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung und damit erwünscht. Glücksspiel hingegen beginnt mit dem Einsatz von Geld und verspricht Gewinne. Es ist mit zahlreichen Risiken verbunden wie z. B. Suchtproblematiken oder finanziellen Verlusten. Nach der Meinung von Tobias Hayer bedarf es einer Klärung juristischer Einordnungen, Werberestriktionen sowie Warnhinweise zu Risiken und Nebenwirkungen.
In diesem Zusammenhang weist er besorgt auf den sich abzeichnenden Trend hin, dass sich im Internet digitale Spiele zunehmend mit Glücksspieleffekten oder Sportwetten vermischen, die keinen direkten Einsatz von Geld, sondern von virtuellen Währungen erfordern. Für Jugendliche, die an Spielangeboten in sozialen Netzwerken oder Online-Sport-Events teilnehmen, können die nicht immer trennscharfen Übergänge einen Anreiz oder Einstieg ins Glücksspiel begünstigen. Diese Entwicklung wird zudem verstärkt durch die Bewerbung von Glücksspielen und das virale Marketing.
Neben dem Glücksspiel wurden auch internetbezogene Störungen thematisiert: In Deutschlang liegt die Prävalenz internetbezogener Störungen in der Allgemeinbevölkerung geschätzt bei 1 – 2 %, unter Jugendlichen etwas erhöht bei ca. 5 %. Tobias Hayer vermutet jedoch anwachsende Nutzungsraten während des pandemiebedingten Lockdowns. Ein Problem für die Zunahme sieht er in der ständigen Verfügbarkeit von Online-Spielen und -Wetten 24 Stunden lang an 7 Tagen.
Tobias Hayer fordert, die Risiken des simulierten Glücksspiels in die bestehenden Präventionsansätze einzubeziehen und die Medienkompetenz stärker und bereits früher einsetzend zu fördern. Er plädiert dafür, dass Eltern und pädagogische Fachkräfte Kinder und Jugendliche stärker begleiten. Dazu sollten sie sich mehr für die Spiele oder das Spielgeschehen interessieren, vor allem, wenn sie sich selbst nicht mit Online-Games auskennen.
Zwischen Empowerment und Toxicity: Kommunikation im Kontext digitaler Spiele
Nina Kiel, Spielejournalistin, -forscherin und – entwicklerin, Düsseldorf
Der Vortrag von Nina Kiel entfiel wegen einer kurzfristigen Erkrankung. Der Beitrag wird Mitte Januar aufgezeichnet und den Teilnehmenden im internen Bereich zur Nachschau bereitgestellt.