Youthwork zu HIV und anderen STI
Warum HIV und andere STI noch immer Thema in der Arbeit mit jungen Menschen sein solltenDank des medizinischen Fortschrittes haben sich die Zeiten und damit auch die Präventionsbotschaften rund um HIV und anderen STI geändert: Neben der Vermittlung von Basiswissen zu Übertragungswegen, geht es heute vor allem darum, junge Menschen bei der Entwicklung einer gesunden Eigenverantwortung zu stärken und Vorurteile abzubauen.
Denn aktive und fundierte Handlungsentscheidungen sind der Motor für ein selbstbestimmtes Sexualleben. Wie Sie junge Menschen dabei unterstützen können und inwiefern sich Präventionsbotschaften geändert haben, wird im Folgenden vedeutlicht.
n=n
Hinter dieser scheinbar so simplen Gleichung, steckt viel mehr, als zunächst scheint – nämlich eine klare Präventionsbotschaft:
nicht nachweisbar = nicht übertragbar.
Gemeint ist, dass HIV unter einer wirksamen Therapie im Blut nicht mehr nachweisbar und bei ungeschütztem Sex nicht mehr übertragbar ist. Weil HIV (zumindest in Europa) meist schnell diagnostiziert und dann umfassend behandelt wird, kommt es mittlerweile auch so gut wie nicht mehr zur Immunschwäche Aids. Daher wird in der Präventionsarbeit auch von „Schutz durch Therapie gesprochen. Übrigens sind die Medikamente mittlerweile so weit entwickelt, dass Menschen in erfolgreicher HIV-Therapie heute annähernd die gleiche Lebenserwartung und -qualität haben wie Menschen ohne HIV.
Die Zeiten haben sich geändert
In der Prävention wird daher nicht mehr von „HIV und Aids“ gesprochen, sondern von „HIV und anderen STI“.
Damit steht HIV zwar auf einer Ebene mit anderen sexuell übertragbaren Infektionen (gut behandelbar, nicht mehr tödlich), ist aber dennoch nicht gleichzusetzen, denn noch immer ist HIV nicht heilbar und die lebenslange Einnahme von Medikamenten bleibt lebensnotwendig.
Eine HIV-Infektion gleicht damit am ehesten einer chronischen Erkrankung, die unbehandelt zwar tödlich ist, mit der sich behandelt aber sehr gut und lange leben lässt.
Diskriminierung bleibt (noch)
Trotz des rasanten medizinischen Fortschritts treffen Menschen mit einer HIV-Infektion gesellschaftlich wie privat noch immer auf Vorurteile und Diskriminierungsstrukturen. Grund hierfür sind oft diffuse Ängste und Unwissenheit und damit auch alte Präventionsbotschaften.
Hinzu kommt auch, dass es lange dauert, bis sich neues Wissen in den Köpfen verankert. Spätestens seit der deutschlandweiten n=n-Kampagne zum Welt-Aids-Tag 2018 trifft die Botschaft, dass HIV nicht übertragbar ist, wenn es im Blut nicht nachgewiesen werden kann, auf ihrem Weg in die Gesellschaft auf staunende und ungläubige Gesichter. Und auf Verwirrung: Was heißt das denn jetzt eigentlich für mich? Was ist mit den alten Präventionsbotschaften? Wo muss ich umdenken? Berechtigte Fragen. Endlich das Ende für Stigma gegenüber Menschen mit HIV? Ja, hoffentlich! Endlich Sex ohne Gummi und ohne Folgen? Keine HIV-Tests mehr notwendig? Kein Bedarf mehr, dem Thema einen Raum zu geben? Auf gar keinen Fall!
Vielleicht haben Sie sich ja eine dieser Fragen gestellt, als Sie von n=n erfahren haben. Aber selbst, wenn nicht, dann können Sie sich sicher sein, dass zumindest einige der jungen Menschen, mit denen Sie arbeiten, diese oder vielleicht auch noch ganz andere Fragen zu HIV oder anderen STI haben dazu haben werden.
Informationen altersgerecht und auf Augenhöhe weitergeben
Antworten eben genannte Fragen im Internet zu finden ist einfach, denn es gibt viele Menschen, die über Vieles sprechen und schreiben… Leider nicht immer seriös, selten altersgerecht und oftmals schlicht und einfach falsch.
Den Unterschied zwischen Fakten und Fehlinformationen zu erkennen, ist nicht einfach – besonders für Jugendliche und ganz besonders dann, wenn sich (wie im Fall n=n) die Präventionsbotschaften in den letzten paar Jahren verändert haben. Bei HIV und über 30 anderen STI – Chlamydien, Syphilis, HPV, Trichomonaden, Gonorrhö, Herpes, Filzläuse… ist es einfach nicht leicht, den Überblick zu behalten.
Unterschiedliche (und manchmal auch falsche) Vorkenntnisse durch Erziehungsberechtigte, durch den religiösen und/oder kulturellen Background oder durch den Freundeskreis machen die Verwirrung komplett. Wenn das Thema reproduktive Sexualität bereits ein No-Go zwischen Erwachsenen und jungen Menschen ist, dann kommt es oftmals zu einem noch stärkeren Tabu, wenn es um verantwortungsvollen Sex, Lust und Spaß sowie die Vermeidung von potenziellen Risiken geht.
Offene Kommunikations- und Fragekultur
Durch eine offene Kommunikations- und Fragekultur lernen junge Menschen, untereinander und mit Lehrer*innen und/oder Erziehungsberechtigte über Sexualität, Wünsche und Grenzen zu sprechen. Der fachlich begleitete Austausch mit anderen wirkt Unsicherheiten und Missverständnissen entgegen. Eine positive Haltung zum eigenen Körper und einen selbstbewussten, unbefangenen Umgang mit der eigenen Sexualität zu entwickeln, steht in engem Zusammenhang damit, selbst Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen und – z.B. beim Sex – auch für die Gesundheit anderer. In einer offenen Kommunikation ist zudem wichtig:
- Regelmäßigkeit: Es ist wichtig, dass junge Menschen durchgängig Ansprechpartner*innen in Sachen Körper, Sexualität und Gesundheit haben. Das Thema ist nicht nach einer Doppelstunde erledigt. Neben einem persönlichen Gesprächsangebot könnten Sie z.B. einmal im Monat Zeit für eine offene Fragerunde einräumen, in der anonym gestellte Fragen zu verschiedenen Themen u.a. Sexualität beantwortet werden. Dabei ist die Möglichkeit zu anonymen Fragen genauso wichtig wie der Raum, Fragen unter vier Augen und persönlich stellen zu können.
- Verlässliches Wissen/solide Fakten: Es gibt viele Faktoren, die nicht nur die Ausbreitung von HIV und anderen STI, sondern auch deren Behandlungsmöglichkeiten beeinflussen. Lehrer*innen und Erziehungsberechtigte sollten sich hierzu laufend fachlich fortbilden und auf dem Laufenden halten. Alte Präventionsbotschaften müssen hinterfragt und aktuelle Trends im Auge behalten werden. Wichtig ist dabei, sich über den Wissensstand der Jugendlichen zu informieren und die Bereitschaft, in einem stetigen Dialog mit hartnäckigen Mythen oder Fehlinformationen aufzuräumen.
- Raus aus dem Tabu! – Akzeptierende Grundhaltung: Es ist entscheidend, dass gerade Sie als Lehrbeauftragte*r mit einer akzeptierenden Grundhaltung in eine offene, vorurteilsfreie Kommunikation gehen, in der ausdrücklich keine “Moralkeule” geschwungen wird und in der alle Fragen erlaubt und gut sind. Nur wenn es kein falsch gibt, werden junge Menschen keine Angst vor der Beurteilung anderer haben und lernen auch die Fragen zu stellen, die sie wirklich interessieren. Niedrigschwellige und lebensnahe Informations- und Austauschangebote unterstützen bei der Öffnung des Dialoges.
- Stärkung der Eigenverantwortung: Bestärken Sie junge Menschen darin, selbst Verantwortung für die eigene (sexuelle) Gesundheit zu übernehmen. Zu erkennen, dass sich die eigene Realität durch eigene Entscheidungen aktiv gestalten lässt, ist ein starker Motivationsfaktor, der aus Reaktions- Aktionsmomente machen kann.
- Stigma und Diskriminierung begegnen: Noch immer begegnen Menschen, die mit HIV leben, gesellschaftlichen Vorurteilen. Diesen lässt sich am besten mit Wissen und einem angstfreien, offenen Umgang begegnen. Halten Sie sich auf dem Laufenden, was junge Menschen für Vorurteile haben, nur so können Sie diesen entgegenwirken. Und vermeiden, alte Diskriminierungsschemata zu reproduzieren.
- Eigene Grenzen erkennen und einreißen: Werden Sie rot, wenn Sie die Wörter “Sex”, “Vulva” oder “Analverkehr” laut vor der Klasse oder im Bekanntenkreis aussprechen müssen? Dann sind Sie nicht allein. Viele Lehrer*innen und Erziehungsberechtigte stoßen an ihre Grenzen, wenn sie mit Jugendlichen über Sexualität oder andere tabuisierte Themen sprechen. Manchmal gibt es sogar Vermeidungsstrategien, die dazu führen, dass entsprechende Themen im Unterricht nicht ausführlich genug behandelt werden und der schamhafte Umgang Tabus auf- statt abbaut. Glücklicherweise gibt es hier viele Lösungsansätze:
- Fortbildungen: Erweitern Sie Ihr Wissen zu Thema und Lehrmethoden, dies wird Ihnen mehr Sicherheit im Umgang mit tabuisierten Themen und jungen Menschen geben. Es gibt auch Seminare, die sich dezidiert mit der Kommunikation über tabuisierte Themen beschäftigen. Die Landesstelle Jugendschutz wird Sie bei der Suche eines entsprechenden Seminars unterstützen.
- Sprechen Sie mit Kolleg*innen oder anderen Erziehungsberechtigten. Wie gehen diese mit der Herausforderung um? Gibt es Strategien, die vielleicht auch Ihnen helfen könnten?
- Laden Sie Expert*innen ein, die Sie in der Bearbeitung der Themen unterstützen. Kommunale oder unabhängige Beratungsstellen wie Vereine bieten häufig Workshops für Jugendliche, aber auch Mitarbeiter*innen- und Multiplikator*innenschulungen an. Zu nennen sind hier z.B. öffentliche Stellen des Jugendschutzes der Kommunen, Pro Familia, Landesverband SCHLAU Niedersachsen e.V. sowie einige der lokalen Aidshilfen.
Marja Rathert
Die Autorin
Freie Referentin Interkulturelle Gesundheit | Koordinatorin internat. Projektmanagement | Dipl.-Sozialwirtin